Selbsthilfe und Hilfe durch Schreiben
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Cita
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Ein Grashalm Empty Ein Grashalm

Do Apr 27, 2017 5:23 pm
Cita (2015):

Diese Geschichte ist eine banale Situation bei mir an der Arbeit, die mich mal wieder zum Nachdenken gebracht hat... (also generell denke ich öfters mal darüber nach, dass ein Bettler, ein Drogenjunkie, ein körperlich oder geistig behinderter Mensch trotzdem nicht weniger Wert ist, nur, weil er vielleicht nicht „Normal“ ist und manches nicht kann...)
Also erstmal geht es um einen Jungen, der zu uns zum reiten kommt. Er kommt mit ein paar anderen Kids aus seiner Schule. Wir sind zu zweit und mit zwei Pferden, den Kindern und den Betreuern/ Lehrern unterwegs... Der Junge, hat immer einen Einzelbetreuer dabei (wie auch ein oder zwei andere der Kinder...) aber der war dem Tag wohl krank und es war eine andere mitgefahren, die ihn nicht kannte. Die Frau tat mir total leid, weil sie einfach maßlos überfordert war mit dem kleinen Jungen. Sie hat versucht ihn an allem, was kein "normales Kind" tun würde zu hindern. Umherlaufen, Grashalme pflücken... Teilweise habe ich gemeint, sie soll ihn einfach lassen, er tut doch nichts Schlimmes. Da war sie allerdings sehr unsicher und wusste nicht so recht, was er darf und was nicht und hätte ihn am liebsten die ganze Zeit festgehalten, dass er nichts anstellen kann...

Er ist Autist, also frühkindlicher Autismus, kein Asperger... Ich weiß gar nicht, wie man das beschreiben kann, man sieht es ihm halt an. Du kannst nicht mit ihm kommunizieren, da er dir keine Antwort geben kann. Du kannst lautes Lachen und Arme ausbreiten als Freude deuten oder in sein auf und ab Hüpfen, dass er sich aufs Reiten freut. Aber viel mehr halt auch nicht.
Am Anfang hatte ich da auch echt Schwierigkeiten mit. Er ist total süß, nur eben etwas anders. Er ist einer von den Kandidaten bei denen ich manchmal echt gerne wüsste, was die denken oder wie viel sie verstehen können... Er hat auf jeden Fall immer irgendwas zum drehen in seinen Fingern...
Zügel mache ich inzwischen immer ab, bevor er dran ist und manchmal muss man aufpassen, dass er sich nicht den Pferdeschweif schnappt um ihn zu drehen... Bevorzugterweise nimmt er oft einfach irgendwelche Grashalme. Naja und wenn er genug vom reiten hat, dann beschließt er eben einfach mal abzusteigen. Natürlich sagt er das nicht an, denn das kann er ja gar nicht... Und er läuft dann eben einfach irgendwo hin, zum nächsten Gras oder sonst was und hört auch nicht, oder kann auch gar nicht verstehen, was du sagst.

Ich war mit meiner Kollegin und den Kids im Wäldchen. Der Junge saß bei mir auf dem kleineren Pony und machte schon einmal anstalten vom Pferd zu steigen, weil er genug hatte.
Das Problem, wir waren mit den Kindern gerade alleine, die Lehrerin und die überforderte Einzelbetreuung waren nicht mehr in Sichtweite, ich hätte also echt ein Problem bekommen, wenn er mir vom Pferd gestiegen und irgendwo anders hin gegangen wäre.

Daher musste ich ihn irgendwie bei Laune halten und habe ihm hin und wieder einen neuen Grashalm!!!! gereicht.
Und er hat sich jedes Mal dermaßen darüber gefreut. Über einen Grashalm!!! Und ich konnte es gar nicht fassen, andere jubeln so bei einem neuen Auto und ich hab gedacht, ja, wo liegt eigentlich der Maßstab? Ich meine worum geht es im Leben überhaupt.
Der kleine Junge ist auf jeden Fall zufrieden, wenn er einen neuen Grashalm zwischen seinen Fingern verzwirbeln kann. Und irgendwie habe ich ihn darum beneidet sich über einen Grashalm!!! dermaßen freuen zu können!!!

Es fasziniert mich immer wieder mit wie wenig man manche Menschen glücklich machen kann.
Er wird niemals ein "normales" Leben führen. Wird vermutlich niemals lesen oder schreiben oder überhaupt mit "normalen" Menschen kommunizieren können.
Aber seine Freude, wenn ich ihm einen neuen Grashalm gereicht habe, hat mich tief berührt und mein Herz zum lächeln gebracht.

Ich will weder reich, noch erfolgreich sein. Ich will mich lediglich über kleine Dinge freuen können, die ich habe und dankbar sein für das, was ich habe.
Dieser kleine Junge ist mein Vorbild geworden. Denn ich tendiere dazu eher unzufrieden zu sein über das, was ich nicht habe. Geld, einen guten Job, ein glückliches, zufriedenes Leben. Ich habe kein Auto, kein Ansehen, bin in der Gesellschaft nicht "normal" funktionsfähig. Bin psychisch krank und gehöre eher zu der unteren Randgruppe unserer Gesellschaft. Ich bin 25 Jahre und habe keine Ausbildung...

Und dann kommt dieser kleine Junge in mein Leben, der nie auch nur ansatzweise so viel haben oder können wird, wie ich und ich stelle mir nur noch eine Frage: "Worauf kommt es im Leben eigentlich wirklich an? Würde es mir nicht viel besser gehen, wenn ich weniger gebildet wäre, weniger intelligent und nicht den Materiellen Wert von Dingen wissen würde. Wenn ich mich über einen Grashalm so freuen könnte wie über einen Ring, wäre ich dann nicht viel glücklicher?
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